PATRICIA
KOPATCHINSKAJA
Frank Martin (1890-1974)
Polyptique - Six images de la Passion du Christ
pour violon solo et deux petits orchestres à cordes (1973, 26')
​
1. Image des Rameaux. Allegro non troppo ma agitato
2. Image de la Chambre haute. Andante tranquillo
3. Image de Juda. Allegro
4. Image de Gethsémané. Molto lento
5. Image de Jugement. Largamente
6. Image de la Glorification. Andante- Allegro moderato
​
Frank Martin Polyptyque gilt als Meisterwerk des 20. Jahrhunderts und wird seit seiner Uraufführung 1973, weltweit regelmäßig aufgeführt. Frank Martin bekam den Kompositionsauftrag zum 25-jährigen Bestehen des Internationalen Musikrats durch Yehudi Menuhin, der das Werk als Solist auch zur Uraufführung brachte. Menuhin sagte dazu: "Wenn ich das Polyptyque von Frank Martin spiele, spüre ich das gleiche Verantwortungsbewusstsein und die gleiche Erhöhung des Gemütes wie bei der Chaconne Bachs."
Frank Martin hat sich gegen Ende seines Lebens zunehmend religiösen Inhalten zugewandt. Er berichtete, dass es ihm unmöglich schien, nach Bachs Geigenkonzerten noch ein Werk in gleicher Art zu verfassen. Stattdessen liess er sich von einer Bilderfolge zur Passionsgeschichte inspirieren, die er in Siena gesehen hatte. Sie findet sich auf der Rückseite des berühmten Altars Maestà in Siena, gemalt um 1308-1311 in noch byzantinischem Stil von Duccio di Buoninsegna (ca. 1255 - 1319, Siena).
Er wählte 6 Tafeln der Passion aus, die er kompositorisch sehr gefühlvoll umsetzte. Bemerkenswerterweise liess er die zentrale Darstellung der Kreuzigung aus. Seine ausgeprägte Verbindung zu Johann Sebastian Bach, insbesondere zur Matthäuspassion – eine prägende musikalische Erfahrung seiner Kindheit – sind hörbare Inspiration.
​
Frank Martin schrieb dazu selber:
"..Die Musik ist jedoch keine bildnerische Kunst, und eine bildhafte Darstellung der Szenen, so wie ich sie hatte betrachten können, kam nicht in Frage. Die einzelnen Szenen konnte ich mir also nur innerlich vorstellen, und zwar so lebendig wie möglich, und dann versuchte ich, die Empfindungen, die diese Szenen in mir wecken, in Musik zu setzen.
​
​
​
​
​
​
​
1. So sah ich in "Image des Rameaux (Palmsonntag)" eine lärmende Menge, die den Einzug des Herrn in Jerusalem miterleben will; sie drängt sich um ihn und jubelt ihm zu. Ich spürte auch die Gegenwart von Christus, der im Bewusstsein, wie menschlich und brüchig der augenblickliche Ruhm ist, sich diesem Tumult überlegen fühlt. Dies auszudrücken übertrug ich der Solovioline.
2. "L'image de la Chambre haute (Abendmahl)" schildert den Abschied Jesu von seinen Jüngern, die bangen Fragen, die sie an ihn richten, und seine liebevollen Antworten.
3. "L'image de Judas (Juda)" ist das Bild eines angsterfüllten, gequälten Menschen; es ist vor allem das Bild einer der Besessenheit anheim gefallenen Seele, die sich schliesslich der Verzweiflung überlässt
(Anmerkung des Webmasters: Judas - im Bild dritter von links - erhält den Beutel mit dreissig Silberlingen, er wird. Er ist im Profil abgebildet: Im Mittelalter durfte das Böse - Judas, der Teufel - nicht en face dargestellt werden).
4. "L'image de Gethsémané (Gethsemane)" ist das Bild der Angst vor der Einsamkeit, das inbrünstige Gebet: "Vater, wenn es möglich ist, so lass diesen Kelch an mir vorübergehen" - und schliesslich die völlige Hingabe des "Dein Wille geschehe". (Anmerkung des Webmasters: In der Bildmitte ermahnt Jesus seine Jünger zu beten, -sie schlafen allerdings ein. Rechts: Jesus betet allein und erhält die Hilfe eines Engels)
​
5. "L'image du Jugement (Gericht)" zeigt die Grausamkeit der tobenden Menge, ihre sadistische Freude, dem Leiden beizuwohnen, und dann den Weg zum Kreuz (Anmerkung des Webmasters: In Duccios Bilderserie gibt es mehrere Bilder, die die Anklage und Verurteilung zeigen, am ehesten der Beschreibung Frank Martins entspricht das Bild der Krönung mit der Dornenkrone).
​
Als ich an diesem Punkt angekommen war, merkte ich, dass es keinen anderen Schluss geben konnte als "L'image de la Glorification (Lobpreisung)."